Der unverwandte Blick
ESSLINGEN: Die Künstlerin Petra Pfirmann öffnet ihr Atelier für eine Werkschau
05.07.2012
Von Gaby Weiß
„Projektbestandteilmalerei“ – mit diesem ziemlich sperrig klingenden Untertitel hatte Petra Pfirmann ihre Ausstellung „Pfirmanns Thierleben 2012. Brehm, Orwell, Freud, Konopka“ bedacht, zu der sie kürzlich eingeladen hatte. In ihrem Atelier auf dem Lorch-Areal arrangierte die Esslinger Künstlerin ihre Arbeiten – und Zeichnungen, Gemälde, Installationen und Projektarbeiten korrespondierten aufs Spannendste miteinander. Meistens bedeutet so eine Werkschau einen Schnitt: „Die Arbeiten herzeigen, wegstellen, etwas Neues beginnen“, hat Petra Pfirmann beobachtet. Bei anderen Werken möchte sie bei dieser Gelegenheit aber auch einfach in Erfahrung bringen, „ob das funktioniert.“So wie bei dem Projekt, für das Petra Pfirmann aus Webcam-Übertragungen, die Greifvögel-Nester auf der ganzen Welt dokumentieren und Nestbau, Brut und Aufzucht der Küken zeigen, verschiedene Einzelbilder zu trickfilmähnlichen Sequenzen zusammengeschnitten und mit digitalen Soundcollagen unterlegt hat. Seit die Wanderfalken auf der Esslinger Stadtkirche via Webcam beobachtet werden, beschäftigt dieses Thema die Künstlerin: „Das war der Augenöffner für mich.“
Voyeurismus der Nestgucker
Am Abend der Vernissage machte Felix Muntwiler, Kirchenmusikdirektor, Organist und Komponist am Münster St. Paul, live Musik zu den Zeitraffer-Bildern. Die auch eine sehr poetische Dimension haben, machen doch die über das Nest ziehenden Schatten deutlich: Die Welt dreht sich, die Zeit läuft weiter. Aber irgendwann läuft sie auch ab. Denn die Bilder erinnern Petra Pfirmann eben auch daran, dass der Voyeurismus der Nestgucker und Nestbeschauer keine Grenzen mehr kennt, dass sich Menschen in bestimmten TV-Formaten bei allem und jedem beobachten lassen, dass Prominente ihre Kinder gnadenlos ins Rampenlicht zerren und daran, dass heutzutage in Kindergärten oft nicht mehr genügend Zeit fürs Spielen ist, weil unzählige Beobachtungsbögen ausgefüllt und Portfolios angelegt werden müssen.
In ihrer Werkschau schlägt Petra Pfirmann den Faden weiter zu ihren kleinformatigen Babybildern, die nach Fotos in Öl auf Leinwand gemalt wurden und von denen die zwischen 1940 und 1970 Geborenen den Betrachter unverwandt anschauen. Unter diesen Babyfotos sind, so Pfirmann, einige jener Menschen zu finden, die dank ihres politischen Amtes diese Orwellsche „Überwachungsgesellschaft“ installiert haben. Und die ganze Welt guckt zu. Einige Grünewald- Madonnen aus dem Isenheimer-Altar haben sich unter die Babybilder gemischt – und hinter einer Kaminmauer lugen Grünewald-Monster um die Ecke. „Das müssen wir alle aushalten“, kommentiert Petra Pfirmann.
Entdeckungen nicht ausgeschlossen
Dazu kommt scheues Getier, das aus dem Schwarz der Nacht heraustritt und den Betrachter beharrlich mustert: Fledermäuse, Wanderfalken und ein fast Dürerscher Hase, gemalt von Pfirmanns künstlerischem Alter Ego Eveline Konopka, zähmen die Informels von Petra Pfirmann. Sie entschlüsseln sie, lassen sie an die Wirklichkeit andocken, wenn sich der Raum nach hinten öffnet, in eine Höhle oder in eine Hölle. Weitere Entdeckungen nicht ausgeschlossen. Wer mag, darf auch in den allerneuesten Zeichnungen blättern: „Das ist merkwürdig, da kann man reingeheimnissen. Kunst lässt ja immer Fragen offen“, sagt die Künstlerin dazu. Und ihre Arbeiten beschäftigen den Betrachter auch dann noch, wenn man das Künstlerinnenatelier längst verlassen hat.

