Mensch Maria!
Vertraut, bewegend, provozierend – eine Schau über die Gottesmutter
Wie sieht eigentlich eine zeitgemäße Mariendarstellung aus? Eine, die Maria nicht als pflichtbewusste Ja-und- Amen-Sagerin sieht. Antworten werden in einer spannenden Schau in Hegne gegeben. Präsentiert werden zeitgenössische künstlerische Auseinandersetzungen mit der Gottesmutter. Mal ist das berührend, mal bizarr.
Von Daniel Gerber
Der Mensch sei ein Gewohnheitstier, sagt man. Die Macht der Gewohnheit führt bei vielen nicht all zu selten dazu, dass Neues nur ungern ausprobiert wird und man sich lieber in den gewohnten Bahnen bewegt. Ähnlich verhält es sich auch mit den Sehgewohnheiten. Was diesen nicht entspricht, überrascht, fasziniert, überfordert, erschreckt oder ärgert einen.
Umso spannender und interessanter ist deshalb auch die Marien-Ausstellung, die derzeit in Hegne zu sehen ist. „Maria. Frau, Königin, Mutter“ so lautet der Titel der Schau, die vom Referat für Kunst, Kultur und Kirche der Erzdiözese zusammen mit dem Kloster Hegne initiiert wurde. Gezeigt werden viele Kunstwerke, die so gar nicht unseren bekannten Vorstellungen von Maria, der Gottesmutter, der ewigen Jungfrau und dem Urbild der auf Gott hörenden Kirche, entsprechen. Beispielsweise die Plastik einer dunkelhäutigen Mutter, die ihr Kind auf dem Rücken in einem Tragetuch trägt, stehend auf einem überdimensionalen Stuhl. Oder das Bild einer Maria, die mit dem Handy mit ihrem Sohn telefoniert. Über das Bild ist noch ein Meer an Zahlen gelegt. Eine ungewöhnliche Mariendarstellung ist auch das Bild einer jungen, wild tanzenden Frau.
Insgesamt sind es 79 Kunstwerke, darunter Zeichnungen, Installationen oder auch Plastiken, die in Hegne zu sehen sind. Alle stammen von Künstlern und Künstlerinnen aus den Diözesen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart. „Dass so viele mitmachen, hätte ich nie gedacht“, freut sich Peter Stengele, Leiter des Referats, über die große Resonanz. Er hatte die Künstler eingeladen, sich mit ihren Werken an der Ausstellung zu beteiligen, an deren Ende auch noch ein Jury- und ein Publikumspreis vergeben werden. Sein Wunsch, den er gegenüber den Künstlern äußerte: „Ich will eine Maria, die für euch stimmt.“ Diesem Wunsch sind die Künstler sichtlich gefolgt, denn es sind sehr persönliche Zugänge, die Besucher zu sehen bekommen.
Selbstverständlich ist das bei einer Marienschau nicht. Beinahe zweitausend Jahre christliche Kunstgeschichte haben nicht nur eine ungeheure Fülle an Mariendarstellungen hervorgebracht, sondern gleichzeitig entstanden feste Bildtypen, die unsere Vorstellungen von Maria bis heute bestimmen und prägen. Keine andere Person wurde nach Jesus so häufig dargestellt wie Maria. Eine europäische Kunstgeschichte ohne sie? Schwer vorstellbar. Und das, obwohl die vier Evangelien über Maria recht wenig erzählen. Umso weniger Stoff aber die Bibel bereithielt, umso mehr Möglichkeiten zur Interpretation boten Marienlegenden (allen voran das Protoevangelium des Jakobus). Künstlerischen Bearbeitungen lieferten diese Legenden viel Stoff.
Schon im zweiten Jahrhundert entstanden die ersten Marienbilder. Aber ihre Zahl hielt sich noch in Grenzen. Das änderte sich mit dem Konzil von Ephesos 431, als Maria zur Gottesmutter erklärt wurde. Ziemlich schnell entwickelten sich die ersten Bildtypen. Von Jahrhundert zu Jahrhundert nahm ihre Zahl zu. Kunstlexika führen heute Dutzende von Marien-Darstellungen auf.
Jeder dieser Bildtypen betont unterschiedliche Züge Marias. Zu den prägendsten gehören sicherlich das Andachtsbild der Madonna. Maria als Mutter, die ihr Kind geborgen und erhaben auf ihren Armen oder dem Schoß hält. Ein weiteres Motiv, das aus der europäischen Kunstgeschichte nicht wegzudenken ist, ist die Pieta oder das Vesperbild. Wie die leidende Mutter mit den Leichnam ihres geliebten Sohnes in den Armen hält, ist zu einem Sinnbild für den Schmerz geworden, den Menschen im Leben ertragen müssen.
Die Idealfigur: ewige Jungfrau und perfekte Mutter
Die künstlerische Beliebtheit zeigt vor allem eins: die große Faszination, die von Maria ausgeht. Als Person aus Fleisch und Blut, die im Leben vieles erleiden musste, repräsentiere sie uns Menschen im christlichen Glau- ben und verbildliche, wie Gottes Heilshandeln am Menschen zu greifen vermag, erklärt Mareike Hartmann, die Studienleiterin und Kunst-Expertin von der Katholischen Akademie in Freiburg.
Stets präsentierten sich in den Mariendarstellungen auch religiöse Einstellungen der Zeit. Immer wurde Maria gerade Frauen als die geschlechtliche Idealfigur in einer doppelten – wenn auch widersprüchlichen – Funktion präsentiert und vorgehalten. Die ewige, reine Jungfrau und die ideale Mutterfigur, die demütig und treu ergeben ihre Pflichten erfüllt. Perfekt und mit der womöglich nachhaltigsten Wirkung bis heute wurde dieses Marienbild beispielsweise mit der weißen, reinen Lourdes-Madonna erschaffen.
Dieses Marienbildnis findet sich auch in der Ausstellung in Hegne wieder. Aber in deutlich verfrem- deter Form. Nikolaus Mohr hat fünf Lourdesmadonnen, die normalerweise mit Lourdeswasser gefüllt sind, mit anderen Flüssigkeiten befüllt. Unter anderem mit Kondensmilch, Altöl oder auch mit Eigenblut.
Wie mit den alten Bildtypen gespielt wird und wie sich das Bild von Maria in unserer heutigen Zeit geweitet hat, wird in der Schau sichtbar. Die Vielzahl der unterschiedlichen Zugänge zu Maria ist beeindruckend. Die reicht von der klassischen Madonna über abstrakte Bilder, bis hin zu einer so provozierenden Arbeit wie der von Petra Pfirmann.
Eines der provozierendsten und herausforderndsten Kunstwerke in der Ausstellung: Petra Pfirmanns „Pietate autem liberandum“.
Die klassische Pieta-Darstellung wird in einen Kriegsschauplatz verlegt. Die Panzerrohre sind schon auf das Ungeheuer Godzilla ausgerichtet, das in seinen Armen den toten Jesus hält. Ist es der Schmerz und die Wut über das Leiden der Menschen, die Maria in ein Ungeheuer verwandelt haben? Interpretationen sind nicht nur bei diesem Bild viel Raum geboten. Das macht den Reiz der Schau aus. Peter Stengele betont: „Wenn die Menschen über die Kunst in eine Auseinandersetzung mit ihren Vorstellungen über Maria treten, ist das doch super.“

