2010 esslinger zeitung: aardvark

2010 esslinger zeitung: aardvark

150 150 Petra Pfirmann

Topographie einer ganz persönlichen Erinnerung

ESSLINGEN: Petra Pfirmann zeigt im Buchladen Die Zeitgenossen ihren Beitrag zur Foto-Triennale
Von Alexander Maier

16.07.2010

Erinnerung hat für Petra Pfirmann etwas Meditatives: Die Mutter, die ihre kleine Petra liebevoll im Arm hielt. Der Vater, der als junger Kerl mit seinen Freunden kickte und später seine Tochter glücklich strahlend auf den Schultern trug. Das erste Bad in der Kinderwanne auf dem Balkon. Und später dann die vielen weiteren Stationen ihres Lebens. All das hat unterschiedlichste Eindrücke, Empfindungen und vielleicht auch die eine oder andere Narbe hinterlassen. Aus Anlass der Foto-Triennale zeigt Petra Pfirmann nun im Buchladen Die Zeitgenossen in der Strohstraße eine Topographie ihrer ganz persönlichen Erinnerungen. Mit ihrer Ausstellung „Mindnapping – An aardvark in the rat race“ ist der Esslinger Künstlerin etwas gelungen, das auch andere zur biographischen Spurensuche ermuntern könnte: Aus der selbst gewählten Distanz kommt Pfirmann ihrer eigenen Vergangenheit vielleicht sogar noch näher.
Stationen eines Kreuzwegs
Es ist ein außergewöhnliches Projekt, das Petra Pfirmann als Antwort auf das Motto der Esslinger Foto- Triennale geschaffen hat: über den Regalen der Buchhandlung zieht sich ein Band von Bildern und senkrecht wie Buchrücken angeordneten Schriftfeldern durch den Raum. Dazwischen finden sich Bilder ihres polnischen alter ego Eveline Konopka – gemalte Porträts von Menschen und Kreaturen, die den Betrachter staunend anschauen, so wie er selbst das Bilder-Fries neugierig betrachtet: Der öffentliche Mensch kann den Blicken anderer nicht mehr entgehen.
Nur eine einzige Tafel ist als Bildunterschrift angeordnet: „Urteil“ steht darauf zu lesen. So beginnt das
Bilderband, das den Betrachter nicht von ungefähr an einen Kreuzweg erinnert. „Annahme“, „Erstes Fallen“, „Abschied, Liebe“, „Solidarität“, „Mitgefühl“, „Zweites Fallen“, „Klage“, „Drittes Fallen“, „Hohn“, „Erhöhung“, „Abschied, Sterben“, „Erniedrigung“ und „Stille“ heißen die weiteren Stationen dieses Kreuzwegs. Dazwischen montiert die Künstlerin Fotografien aus ihrem privaten Album und Luftaufnahmen jener Orte, die Stationen ihrer eigenen Biographie geworden sind: Der Geburtsort Rüdesheim, wo sie zum Leben „verurteilt“ wurde, später dann die Wohnorte Geisenheim, Maikammer, Impflingen, Unteröwisheim, Esslingen oder Sindelfingen. Jeder dieser Orte und jede dieser ganz privaten Impressionen lädt dazu ein, sich dem Menschen Petra Pfirmann zu nähern. Nicht aus voyeuristischem Interesse, sondern weil jede Station eine etwas andere Facette ihres Lebens zum Leuchten bringt: Kindheit und Jugend, die Schule und später die Ausbildung zur Textil-Muster- Gestalterin, das Engagement bei einer Frauenzeitung und die Zeit als Bassistin einer Band, das Studium in Tübingen, die Erfahrungen aus der Hausbesetzerszene oder die prägenden Erlebnisse in anderen Regionen dieser Welt. Erst all das zusammen macht eine Persönlichkeit aus, ohne deren Kenntnis sich ihr künstlerisches Schaffen, ihre Begeisterungsfähigkeit, ihre Empathie und ihre menschliche Integrität vielleicht nie völlig erschließen würden.
Wenn Petra Pfirmann ihrem Kreuzweg folgt, den sie zirkulär versteht, weil man ihn im Laufe eines Lebens mehr als einmal durchlaufen könne, geht es ihr nicht um nostalgisches Festhalten-Wollen, sondern eher um Selbstvergewisserung. Sie versucht sich an einer Quadratur des Hamsterrades und stellt fest, dass die verschiedenen Regionen unserer Welt aus der Vogelperspektive von Google Earth gar nicht so unterschiedlich ausschauen. Und sie erinnert uns daran, dass die Orte austauschbar sein mögen. „Erst das Erleben, die Erinnerung, das gelebte eigene Leben lassen sie zu etwas Besonderem werden“, resümierte Gaby Burckhardt in ihrer klugen Einführung bei der Vernissage.