2018: Dorfherz & THE FOUR …

2018: Dorfherz & THE FOUR …

1024 506 Petra Pfirmann

Foto: Petra Weber-Obrock

Esslinger Zeitung, 27.12.2018

Stadtfest „Dorfherz“ in Esslingen: Kunst statt Kommerz

Von Petra Weber-Obrock
Stadtfest „Dorfherz“ bringt Installation, Literatur und Musik unter die Leute

Am vierten Advent initiiert Künstlerin Petra Pfirmann auf dem Hochschulcampus Esslingen das Stadtfest „Dorfherz“ mit Kunst, Literatur, Musik und Tanz.

Esslingen Am vierten Advent ist die Kreuzung am Campus der Hochschule ein trostloser Ort. Die einbrechende Dämmerung beleuchtet eiskalten Nieselregen. Rote Ampellichter verschwimmen auf den Pfützen. Wassersatt strömt der Neckarkanal dahin. Doch an seinem Ufer leuchten „The Four“ trotzig gegen die Tristesse des Wintertages an, dem jegliche Weihnachtsidylle abgeht. An jedem Adventssonntag ist ein Licht hinzugekommen. Die vier übermannshohen Röhren sind ein Kunstprojekt im Prozess, geschaffen im Jahr 2012 von der umtriebigen Künstlerin Petra Pfirmann.

An diesem Abend stehen „The Four“ als Lichtinstallation und Lichtblick im Advent im Zentrum des Kunstfests „Dorfherz“, mit dem Pfirmann einen nicht kommerziellen Kontrapunkt zum Weihnachtsrummel setzen will. „Wir brauchen Raum für eine analoge Community jenseits der digitalen Geselligkeit“, begründet sie ihre Idee. „Im Zeichen von ‚The Four’ treffen sich bildende Kunst, Literatur und Musik.“
Um dem Kunstfest Leben einzuhauchen, versammeln sich unter dem Vordach der Hochschule mit dem Autor Olaf Nägele, dem Teufelsgeiger Martin Schnabel, Werner Bolzhauser vom Verein Kultur am Rande und der Tanzgruppe des griechischen Kulturvereins Polytistikos Syllogos „Metaxades“ einige Urgesteine der Esslinger Kulturszene. Mit Sprachwitz, Geigenklängen, Tanzschritten, die in die Beine gehen, und reichlich Glühwein heizen sie den zunächst spärlich tröpfelnden Gästen ein. Diese sind festen Willens, sich vom Nieselwetter nicht unterkriegen zu lassen.
„Wenn der Schnabel loslegt…“, beginnt Werner Bolzhauser – „…ist es rum mit der Ruhe“, vervollständigt Martin Schnabel selbst. Der Anfang gehört aber den Griechen, die zu mitreißender Musik ihre komplizierten Reigentänze aufführen. „Wir stammen aus dem Dorf Metaxades im nordgriechischen Thrakien“, erzählt Stella Stefanakudi. Obwohl sie sich in Deutschland wohlfühlen, ziehen die Mitglieder Kraft aus den Tänzen und dem Kulturgut ihrer Heimat. „Ein Mensch ohne Wurzeln ist ein Mensch ohne Ausweis“, sagt Stella und wünscht sich, dass alle Esslinger, egal, woher sie kommen, zu Bausteinen am gemeinsamen Haus ihrer Stadt werden.
Mit nachlassendem Regen strömen die Gäste reichlicher und lassen sich gern von den Griechen in den Kreis ziehen, was Laune macht und die Kälte vertreibt. Danach gehört die Aufmerksamkeit Martin Schnabel, der den melodiösen Sound seiner E-Geige zu filigranen und rockigen Klangteppichen verwebt und zum Abschluss liebevoll „Stille Nacht, heilige Nacht“ fiedelt.
Olaf Nägele beglückt das Publikum mit seiner Typologie der Weihnachtsmarktgänger vom „Stehenbleiber“ bis zum „gemeinen Trippler“ und „Homo ignorantius“ ebenso wie mit seinen „Vier heiligen drei Königen der Pliensauvorstadt“, die auf dem Weg zum Kindlein auf der Alb bei Westerheim hängen bleiben, wo es sowieso viel schöner ist.
Zurück zu den Röhren: Eigentlich sind „The Four“ als Adventsbeleuchtung unterfordert. Petra Pfirmann kann über den Werdegang ihrer Kunstinstallation einige Storys erzählen. Benannt nach Viererbanden wie den Beatles oder den Helden aus Bonanza mutieren die Objekte, die an Abluftröhren von Parkhäusern erinnern, erst durch den Kontext zur Kunst. „Sie transportierten schon Soundperformances, waren Teil von ‚Stadt im Fluss’ und sind sich auch sonst für nichts zu schade“, erklärt Pfirmann. Ob als Klangraum für Aufführungen griechischen Rembetikos, als Bühnenkulisse oder als Kunstinstallation mit Leuchtcharakter, immer erzeugen die Vier Interaktion und Konfrontation. Manche dieser Prozesse geschehen unabsichtlich wie der Streit um ihren Standort oder ihre zeitweise Umfunktionierung als Mülleimer, die Petra Pfirmann nicht verhindern konnte. Sie nimmt es mit Humor und freut sich auf die nächsten Abenteuer der coolen Typen, von denen man noch viel erwarten kann.