„passionsspuren“ von Petra Pfirmann
– Eine Theologische Betrachtung –
„passionsspuren“ in der Osterzeit
Auf den ersten Blick scheint die Ausstellung zur falschen Zeit zu kommen, denn Passion und Kreuzweg gehören doch eigentlich in die Zeit vor Ostern. Doch sind „Passionsspuren“ wirklich nur die Vergegenwärtigung des Leiden Christi, memoria passionis, die hinter den im Münster zu sehenden bildlichen Darstellungen von Kruzifix, Pieta, Kreuzweg und Gnadenstuhl steht. Oder gibt es nicht vielmehr Spuren der Passion, des Leiden Christi und im weiteren Sinn jedes Menschen, die auch durch Ostern nicht ausgewischt sondern verwandelt werden? Denn unser ganzes Leben, mit all den Spuren, die es an Leib und Seele hinterlässt soll ja ins österliche Leben eingehen. Nicht umsonst sind bei vielen Bildern vom auferstandenen Christus, so auch beim vielleicht berühmtesten auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, seine Wundmahle zu sehen. Dies meint wohl auch die biblische Rede von der leiblichen Auferstehung, dass wir nämlich leibhaft und zugleich verwandelt, das heißt mit einem verklärten Leib, vor Gott stehen werden.
„passionsspuren“ in unserem Leben
Die Tücher waren einst 10 Tage lang im Rossneckar geschwommen, als Kunstinstallation „floating bridge“ (schwimmende Brücke). In dieser Zeit haben die Strömung und das Wasser mit all seinen Partikeln an ihnen genagt, sie verfärbt, an ihnen gerissen. Die Tücher sind nun in einen neuen Zusammenhang gebracht und verweisen auf Christus und – in ihm — auf jeden Menschen. Denn im Fluss des Lebens werden wir alle verändert. Das lädt ein zur Frage, welche Spuren das Leben an uns hinterlassen hat. Gerade »passionierte“, leidenschaftliche, Menschen, die für eine Sache brennen, werden manche Passion, manches Leiden erfahren werden. Gerade passionierte Menschen, die sich auf Christus berufen und deren Leidenschaft die Liebe ist, werden sich nicht wie Stein oder Stahl sondern eher wie Stoff von diesem Leben prägen lassen. Dieser Zusammenhang wurde niemals deutlicher erfahren als in der Mystik, gerade in der Leidensmystik, die die Spiritualität der ersten Generationen von Dominikanern und Gläubigen, die einst im Münster St. Paul beteten und feierten, prägte. Mystiker von damals bis heute ließen sich vom Leiden Gottes beeindrucken voll Furcht und Ehrfurcht. Denn in Jesus Christus ist Gott nicht mehr nur der Beobachter der leidenden Menschen sondern ist selbst hineingetaucht in den Fluss des Lebens, wurde verletzlich und verletzt, bis zum Tod am Kreuz. Gott war im Staub der Straßen unterwegs und war sich nicht zu fein für die niedrigste Tätigkeit, namlich seinen Schülern den Staub von den Füßen zu waschen.
„passionsspuren“ in der Einfachheit des Stoffes
Ist es theologisch nicht großartig, dass einfache ohne künstliche Farben behandelte Tücher auf diesen Weg der Menschwerdung Gottes hinweisen? Der Patron des Münsters, der heilige Paulus, sprach mit Nachdruck davon, dass Gott das Niedrige und Verachtete (vgl. 1 Kor 1,25-29) erwählt habe. Der Stoff mag erinnern an die dominikanischen Wurzeln der Kirche, die wie andere Bettelorden auch, sich in einfaches Tuch kleideten, um dem Volk nahe zu sein, wie es Jesus selbst auch war.
„passionsspuren“ im Außenbereich
Der Kreuzweg ist außerhalb der Kirche angebracht. Die alten Keuzwege waren alle draußen. Sie luden den Menschen zum Gehen ein und machten ihm bewusst, dass er Pilger ist, dass sein Leben im Fluss ist wie das der Kirche als Ganze. Oft führte ein solcher Kreuzweg auf einen Kalvatienberg und in eine Wallfahrtskapelle. Auch die Installation ,,passionsspuren“ befindet sich außerhalb des Kirchengebäudes. So spricht sie auch Menschen an, die womöglich nicht einzutreten wagen. Doch wer sich von Station zu Station führen lässt, gelangt an den (heutigen) Eingang der Kirche. Die dortigen unter dem Vordach angebrachten Tücher möchten daran erinnern, dass diese Kirche speziell die katholischen Migranten, die oft genug heimat- und auch mittellos nach Esslingen gekommen waren, in sich versammelt hat. Und auch heute lädt sie Menschen ein, einzutreten, so wie sie sind, mit all den Spuren, von denen sie gezeichnet sind, um zu erahnen und vielleicht auch zu feiern, dass alles Vergängliche ins Unvergängliche hinein verwandelt werden wird.

