EZ 23.12.2019
Yoga und griechischer Tanz im Anorak
Adventsfeier der anderen Art auf dem Campus der Hochschule —
„Dorfherz“ mit Lichtinstallation, Kultur, Literatur und Bewegung
Von Petra Bail

Künstlerin Petra Pfirmann befestigt die Dorfherz-Fahnen an der Öffnung der Licht-Installation The Four. Foto: Petra Bail
Nach der erfolgreichen Premiere von „Dorfherz“ im vergangenen Jahr hat die Esslinger Künstlerin nun eine zweite Auflage für die Adventsfeier der anderen Art gestartet. Viele Gäste kamen auf den Campus der Hochschule und feierten umsonst und unter freien Himmel. Es gab Literatur, Lichtinstallation, Yoga, griechische Tanzeinlagen und Musik.
Über Bethlehem wies einst der Stern den Weisen den Weg. In Esslingen ist es Petra Pfirmanns beleuchtete Installation The Four, die den Besuchern, die Sonntag aus der Stadt strömten, zeigten, wo’s langgeht. Die vier Metallröhren auf dem Campus der Fachhochschule Esslingen stehen wie XXL-Kerzen am Kanalufer und sorgten am dunkelsten Tag des Jahres für Strahlkraft bei der vermutlich authentischsten Adventsaktionen in der Stadt. Der Weihnachtsmarkt schloss um 18 Uhr die Tore, Petra Pfirmanns „Dorfherz“ öffnete zeitgleich die Klappen für all jene, die abseits des rummeligen Weihnachtsgedöns Lust auf kommerzlose Alternative am vierten Advent hatten.
„Ich hab‘ gerade ein totales Heimatgefühl“, sagt ein Passant auf der Kiesstraße gerührt, beim Anblick der beleuchteten Szenerie in der hereinbrechenden Dunkelheit. Gut 100 Personen, Jung und Alt, mit und ohne Migrationshintergrund versammelten sich in kürzester Zeit auf dem Platz der Hochschule, unter deren Dachvorsprung die unvermeidliche Technik Unterschlupf gefunden hatte. Ohne Verstärkung geht’s nicht, auch nicht im „analogen authentischen Kontext“ des geselligen Abends, zu dem neben Petra Pfirmann der Musiker Martin Schnabel und der Kulturschaffende Werner Bolzhauser eingeladen hatten. Die vorweihnachtliche Aktion fand umsonst und draußen statt. Wer wollte, der durfte für Glühwein einen Obolus in den aufgestellten Spendenhasen werfen, der schon ans nächste Fest erinnerte. Als Dresscode war Anorak angesagt, sowohl beim Yoga als auch beim griechischen Tanz.
Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr, hat die Esslinger Künstlerin nun eine zweite Auflage für die Adventsfeier der anderen Art gestartet. Mit „Dorfherz“ operiert Pfirmann seit vier Jahren. Inzwischen ist die Kunstaktion zum Label geworden, das auch an anderen Orten problemlos funktioniere. Ihr geht es sowohl um den Inhalt als auch um das neue Format, das sie mit ihrer Wortschöpfung kreiert hat. „Dorf“ steht für die Gemeinschaft, den Raum und „Herz“ für die interdisziplinäre und interkulturelle Handlunge der Akteure und des Publikums. Die Umstehenden sind nicht nur Zaungäste, die das Dargebotene aus Musik, Tanz, Körperbewegung, Kunst und Literatur konsumieren, sie werden Teil der Marke und in die einzelnen Aktionen einbezogen und sollen sie vor allem anschließend weitertragen. Marianne Widmann machte mit ihrem Anorakyoga deutlich, dass man für die körperlichen Sequenzen keine Matte braucht. „Yoga ist immer möglich“, sagt sie und sorgte mit einfachen Übungen, die leicht in den Alltag einzubauen sind, dafür, dass die Umstehenden für zehn Minuten Haltung annahmen und den Blick nach innen richteten. „Das ist häufig verloren gegangen“, so die Yogalehrerin. Deshalb sind gerade im Weihnachtsvorbereitungsstress zwischen Kaufhaus und Küche Verschnaufpausen für Körper und Geist sinnvoll: „Einatmen und ausatmen, die Hände streben nach oben.“ Fast alle versuchten sich engagiert im eigenen Wahrnehmen zwischen Himmel und Erde.
Loungemusik und „Stille Nacht“
Auf temperamentvolle Weise führte die Tanzgruppe des griechischen Kulturvereins Politistikos Syllogos „Metaxades“ die Bewegung weiter. Ebenfalls im Anorak statt in ihrer traditionellen Tracht bewegten sich die Männer und Frauen im offenen Kreis zum temporeichen Takt der Musik. Zum dritten Tanz wurden die Umstehenden eingeladen, die Schrittfolgen mitzumachen. Nach so viel kreislaufstimulierender Aktion hieß es zuhören. Der Schauspieler Christian Koch hatte eine etwas andere, sehr moderne und schön-schnoddrige Teddybärengeschichte im Gepäck. Karen Duves „Weihnachten mit Thomas Müller“ ist praktisch fußballfrei, steckt dafür aber voller Hoffnung, Heimat und Freundschaft. Nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen lauschten dem vorgetragenen Abenteuer, das der ziemlich abgewetzte Bär namens Thomas Müller an Heiligabend erlebt.
Das moderne Märchen erzeugte eine Wohlfühlatmosphäre ohne Kitsch, die der Musiker Martin Schnabel mit seiner Band Betriebsgeheimnis klanglich virtuos aufrechterhielt. War die offizielle Starthymne mit ein paar Takten „Stille Nacht“ noch klassisch gehalten, begleitete entspannte Chillout-Loungemusik die Gäste in den Winterabend. Alle Künstler wirkten an der sympathischen Adventalternative kostenlos mit, ebenso wie die Gastgeber, Petra Pfirmanns The Four, die die Szenerie vom Rande beleuchteten, jeweils mit einer mit der Aufschrift Dorfherz bedruckten roten Fahne, die den Röhren wie eine Zunge aus dem Hals hing.

