2010 Gaby Burckhardt: mindnapping – an aardvark in the rat race

2010 Gaby Burckhardt: mindnapping – an aardvark in the rat race

150 150 Petra Pfirmann

Petra Pfirmann: mindnapping – an aardvark in the rat race oder

die quadratur des hamsterrads: mitfahrgelegenheit

Ausstellung im Rahmen der 8. internationalen Fototriennale Esslingen 2010

Buchladen Die ZeitGenossen Ausstellungseröffnung am 1. Juli 2010 – 20 Uhr

Liebe Zeitgenossinnen und liebe Zeitgenossen,
„Mapping Worlds. Welten verstehen – Aufbruch in die Gegenwart“ so lautet der Titel der 8. Internationalen Fototriennale, die am vergangenen Sonntag mit einem vier zu eins eröffnet wurde. Mapping Worlds: Welten vermessen, kartografieren, nichts anderes versucht Google. Fotografien, Luftaufnahmen, werden zu komplexen Bildern zusammengesetzt und sind in verschiedenen Maßstäben verfügbar an jedem Ort der Erde, an dem eine Steckdose in erreichbarer Nähe ist. Kartografie legt Netze über Landschaften – heute existieren Landschaften im Netz. Kartografie liefert Orientierung durch Abstraktion: Wenn ich eine Karte lesen kann, dann kann ich eine Linie als Straße interpretieren und meinen Weg in der Realität finden. Zumindest kann ich von A nach B gelangen. Ich kann mir ein Bild machen, wenn ich von oben auf die Welt schaue – es wird immer ein anderes Bild sein, wenn ich auf dem Boden stehe. So gesehen schafft der Software-Riese durch Fotografie, Vermessung, Kartografie ein neues Weltbild. Aber kann dies auch dazu dienen, die Welt zu verstehen?

Petra Pfirmann zeigt hier im Buchladen ihren Beitrag zum Triennale- Thema. Herzlich willkommen zur Ausstellungseröffnung!

Über den Bücherregalen zieht sich ein Band aus Bildern entlang. Dazwischen Wörter, schmal wie Buchrücken, und auch wie bei Titeln auf Buchrücken läuft die Schrift einmal von unten nach oben und das andere mal von oben nach unten. (Ich habe noch niemanden gefunden, der mir erklären könnte, warum das so ist. Wahrscheinlich gibt es einfach keine Konvention.) Ein mal ist das Wort wie eine Bildunterschrift angebracht, hier am Kamin, in hervorgehobener Position: „Urteil“. Mit einem Urteil beginnt der Kreuzweg Christi und wenn wir einen Blick auf die weiteren Begriffe werfen erhärtet sich der Verdacht, dass es sich bei dem Bilderreigen um die Darstellung eines Kreuzwegs handelt.

Erlaubt mir deshalb einen kleinen Exkurs zum Thema Kreuzweg. Ursprünglich hielten die christlichen Pilger in Jerusalem an zwei Stationen des Kreuzwegs inne: Am Haus des Pilatus, wo Jesus verurteilt wurde und am Ort der Kreuzigung, Golgatha.
Nach und nach entstanden weitere Stationen, Pilger brachten die Andachtsform der Prozession in die Heimat und seit etwa 1600 wurden Kreuzwege mit 14 bebilderten Stationen errichtet. Papst Clemens XII. erkannte im Jahr 1731 mit seinem Breve „Unterweisungen über die Art, wie man den Kreuzweg abhalten soll“
diese Form des Kreuzwegs als kanonisch an und bedachte ihn mit Ablässen.

Die traditionellen 14 Stationen:
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.Jesus wird seiner Kleider beraubt. (Hohn) 11. Jesus wird ans Kreuz geschlagen (Erhöhung) 12.Jesus stirbt am Kreuz. (Abschied, Sterben) 13.Jesus wird vom Kreuz genommen und in den Schoß seinerMutter gelegt. (Erniedrigung) 14.Der Leichnam Jesu wird ins Grab gelegt. (Stille)

Petra Pfirmann schneidet zwischen die Stationen des Kreuzwegs Stationen des eigenen Lebens in Form von Computerausdrucken des Google-Programms. So finden wir über dem Anfangspunkt „Urteil“ ein Luftbild ihres Geburtsorts Rüdesheim. Und damit erfährt der Begriff „Urteil“ eine Verkehrung ins Gegenteil: Nicht zum Tode verurteilt, sondern zum Leben verurteilt – kein Leben ohne Tod …
Petra erzählt: Mit den Eltern: Geisenheim, Maikammer, Impflingen. Dazwischen: Bilder von Eveline Konopka, der polnischen Freundin, die fast schon zum Alter Ego geworden ist. Sie steuert hier in dieser Serie den Blick von außen bei mit gemalten Portraits von Menschen und anderen Kreaturen, die uns, die Betrachter, seltsam unverwandt anschauen. Dann Unterödesheim bei Bruchsal, Esslingen, hier das THG, dann Sindelfingen, die Gottlieb-Daimler-Schule, wo aus Petra Pfirmann eine „Textil-Muster-Gestalterin“ oder auch „Web-Gesellin“ wird. Erste große Reise: Sri Lanka. Dann Orient-Teppiche restauriert in der Teppich Galerie in Stuttgart, Eberhardstraße. Teppiche flicken bei den reichen Leuten zuhause. – du sitzt auf dem Boden, buckelst, arbeitest, und wenn Du fertig bist, kriegst Du eine Tafel Schokolade. Ein halbes Jahr Daimler zum Geldverdienen: Sie will das Abitur nachholen und arbeitet in der Gießerei, sehr gerne, wird Maschinenführerin. Dann die Schule, Vollzeit, Abitur in zwei Jahren. Nebenher Frauenzeitung, antiimperialistische Politik, Bassistin bei VEB (Volkseigene Band), später Basisbeat. Schlechteste Bassistin vom mittleren Neckar, ne, bestaussehendste, sag doch lieber „bestaussehendste“. Das Foto: Auftritt in der Dieselstraße. Journalistin werden, Studium in Tübingen: Politik, EKW, Soziologie. Nach zwei Jahren Studium beendet, Reise nach Kanada, Umzug nach Stuttgart, Mörikestraße. Aus der Hausbesetzerszene hat sich das Projekt „Neues Leben in alten Mauern“ entwickelt, sie steigt ein, arbeitet in der Szenekneipe „Casino“ und nebenher im Staatstheater. Nähsaal, Malsaal, Assistentin Bühnenbildner, Assistentin Kostüm,

Jesus wird zum Tode verurteilt (Urteil)
Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern (Annahme)
Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz (Erstes Fallen)
Jesus begegnet seiner Mutter (Abschied, Liebe)
Simon von Cyrene hilft Jesus, dasKreuz zu tragen.(Solidarität)
Veronika reichtJesus das Schweißtuch (Mitgefühl)
Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz (Zweites Fallen)
Jesus begegnet den weinenden Frauen (Klage)
Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz (Drittes Fallen)

Assistentin Regie. Irgendwann stellt sich die Frage: Will ich ein Arschloch sein im subventionierten Theater? Reise nach Norwegen, Ende Theater, Erschöpfung, Reise nach Afrika: Lagos, Kamerun, Ghana, Schnitzen lernen und überleben, auch überleben lernen. Rückkehr aus Afrika mit dem Wunsch: für den Menschen arbeiten: Kunsttherapie-Studium in München bei großartigen Lehrern. Reise nach Malta, Umzug in die Bebelstraße, Rückkehr nach Esslingen, Spinnen/Hamsterrad/Strippenziehen.
Letzte Ausbildung: Villa Lindenfels, Untertürkheim: Systemische Supervision. Ankunft im Jetzt: Grablegung, runter ins Schwarze, Stille, Meditation. Sterben – jeden Tag ein bißchen. Womit wir wieder am Anfang angelangt sind: zum Leben verurteilt, weiterleben, das beste versuchen… Petra Pfirmann sieht den Kreuzweg als zirkulär an: man durchlaufe diesen Zyklus immer wieder, mehrmals im Leben. Wenn die Übung gelingt, liegt der Endpunkt auf einer höheren Ebene als der Start. Die Zeit als Variable spielt mit.
Läßt man den Blick ein weiteres Mal die Runde machen, fällt die Gleichförmigkeit der Luftaufnahmen besonders auf, Orte scheinen austauschbar, erst das Erleben, die Erinnerung, das gelebte eigene Leben lassen sie zu etwas Besonderem werden. Das ist aber nicht auf der Abbildung zu sehen, die Abbildung ist frei von jeder Bedeutung.

Petra Pfirmann hat zum Thema „Mapping Worlds. Welten verstehen – Aufbruch in die Gegenwart“ einen Beitrag abgeliefert, der ins Schwarze trifft. Mit ihrer autobiografischen Arbeit hat sie keine Nabelschau betrieben, sondern eine ins Allgemeine zielende Position erarbeitet. Und so sind auch die 5 Objekte zu sehen, die im vorderen Raum aufgehängt sind: Fotografien aus dem eigenen Fotoalbum, die das eigene Woher und das Wohin erfragen

Das „Warum“ wird mit diesem Bild thematisiert: Eine Fotografie, die unter diesem Lebenszyklus liegt, die ihn geprägt hat. Das Bild, das im kollektiven Gedächtnis für den Vietnamkrieg steht.
Liebe Petra Pfirmann, vielen Dank für Deine Arbeit. Liebe Zeitgenossinnen und liebe Zeitgenossen,
wie immer gibt es jetzt noch eine Kleinigkeit zu Essen und was zu Trinken. Vergesst nicht, das Sparschwein zu füttern, bevor Ihr geht, aber bleibt doch gerne noch eine Weile. Vielleicht habt Ihr Euch ja was zu erzählen…
Ich wünsche einen schönen Abend! Danke für’s Zuhören!
Gaby Burckhardt, 28. Juni 2010